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Kann der deutsche Weinbau überleben – und wenn ja, wie?

Ein Blick in deutsche Weinberge offenbart mehr als malerische Rebhänge und laue Sommerabende. Die Realität vieler Winzerinnen und Winzer ist geprägt von Wetterextremen, Kostendruck und dem ständigen Kampf gegen Pilzkrankheiten. Der deutsche Weinbau steht an einem Wendepunkt – und es braucht neue Antworten.

Blogartikel von Olivier Geissbühler

Zwischen Frost, Flut und Fungiziden – die Probleme wachsen

Der deutsche Weinbau hat es derzeit nicht leicht. Gemäss aktueller Berichte sind rund die Hälfte aller deutschen Weingutsbetriebe bankrottgefährdet. Sinkender Alkoholkonsum und die Konkurrenz von ausländischen Weinen und Getränkealternativen verschärfen die Krise.

Dazu kommen externe Faktoren: Was früher als einigermassen planbare Landwirtschaft galt, wird heute immer mehr zur Wetterlotterie. Spätfröste im Frühjahr, Trockenstress im Sommer, Starkregen im Herbst – das Klima spielt verrückt. Dazu kommen klassische Dauerbrenner wie:

  • Pilzkrankheiten wie Echter und Falscher Mehltau, die bei feuchtwarmer Witterung rasch Überhand nehmen.
  • Steigende Betriebskosten, vor allem bei Pflanzenschutz, Energie und Personal.
  • Fachkräftemangel, der die dringend nötige Handarbeit im Weinberg erschwert.
  • Regulatorischer Druck, etwa durch das zunehmend kritische öffentliche und politische Auge auf Pestizideinsatz.

Die Antwort vieler Betriebe darauf? Noch häufiger spritzen, noch mehr Technik, noch höhere Kosten. Ein Teufelskreis.

Pflanzenschutz: Der heimliche Zeit- und Kostenfresser

Was viele nicht wissen: Ein grosser Teil der Arbeit im Weinbau dreht sich ums Spritzen. Zwischen 8 und 16 Pflanzenschutzmassnahmen pro Saison sind keine Seltenheit – oft bei Nacht und Nebel, um das Zeitfenster zwischen Regen und Reife optimal zu nutzen. Und das kostet:

  • Zeit: Jeder Durchgang braucht Planung, Personal und mehrere Stunden Maschinenzeit
  • Geld: Die Mittel selbst sind teuer.
  • Nerven: Witterung, Anfahrtswege, Wartezeiten und die Angst, den richtigen Moment zu verpassen

Hinzu kommen ökologische Sorgen: Jede Durchfahrt belastet den Boden, erhöht den CO₂-Ausstoss und bringt Rückstände auf Blätter und Trauben.

Fachkräftemangel: Wer soll das noch machen?

Nicht nur der Pflanzenschutz, auch Laubarbeiten, Bodenpflege oder die Handlese sind enorm personalintensiv. Und erfahrene Arbeitskräfte sind rar – und teuer. In vielen Regionen Deutschlands berichten Winzerinnen und Winzer von massiven Schwierigkeiten, überhaupt Helferinnen und Helfer zu finden.

Und wenn doch, schlagen Mindestlohn und Sozialabgaben ordentlich zu Buche. Wer den Pflanzenschutz rationalisieren könnte, hätte also gleich mehrere Probleme auf einmal gelöst.

Energie- und Treibstoffkosten: Der Traktor wird zum Kostentreiber

Jede zusätzliche Massnahme bedeutet mehr Energieverbrauch – und somit mehr CO₂. Fahrten durch den Weinberg kosten Diesel. Jede Spritzung braucht Wasser und zum Teil teure Pflanzenschutzmittel. In Zeiten steigender Preise wird das zur echten Belastung.

Umso frustrierender, dass biologisch arbeitende Winzerinnen und Winzer jetzt nicht einmal mehr Backpulver verwenden dürfen, sondern ein fast identisches, aber deutlich teuerer Pflanzenschutzmittel kaufen müssen. Gleichzeitig nehmen Winzer Nachhaltigkeit und Klimaschutz zunehmend ernst – nicht nur aus Überzeugung, sondern weil es auch immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten einfordern.

Ein möglicher Lösungsansatz? Robuste Rebsorten!

Aber es gibt Hoffnung – und sie wächst in Form robuster Rebsorten heran: PIWIs (pilzwiderstandsfähige Rebsorten) sind das Ergebnis jahrzehntelanger Züchtungsarbeit. Sie kombinieren klassische europäische Weineigenschaften mit natürlichen Resistenzen gegen Pilzkrankheiten. Und das bedeutet konkret:

Weniger Pflanzenschutz – weniger Durchfahrten
Statt 12 Spritzungen genügen bei PIWIs oft 2–4 – selbst im Bioweinbau. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Maschinenstunden, Diesel und Pflanzenschutzmittel.

Weniger Arbeitsstunden – weniger Personalbedarf
Weniger Spritzungen bedeuten auch weniger Traktorfahrten, weniger Planung und Koordination. In einer Zeit, in der Personal schwer zu finden ist, ist das Gold wert.

Weniger Energiekosten – bessere Klimabilanz
Dieseleinsparung, weniger CO₂, weniger Bodenschäden – PIWIs sind ein Hebel für mehr Nachhaltigkeit im Weinberg. Und sie passen ideal zu Betrieben, die bereits regenerativ oder biodynamisch arbeiten wollen.

Weniger Pflanzenschutzmittel – mehr Ökologie
Kupfereinsparung, weniger Schwefel, weniger Rückstände auf den Trauben – PIWIs schonen die Umwelt, das Grundwasser und die Biodiversität. Und sie machen es Winzern leichter, strenge Bio-Richtlinien einzuhalten.

Dass sich der Anbau von neuen Rebsorten lohnt, beweisen ökologische Winzer wie Timo Dienhart an der Mosel oder Tobias Zimmer in Rheinhessen.

Und wie schmecken sie? Besser als ihr Ruf!

Lange galten PIWIs als Notlösung für Bio-Winzerinnen und -winzer. Doch das ändert sich rasant. Heute bringen PIWI-Reben wie Souvignier Gris, Cabernet Blanc oder Johanniter Weine hervor, die international prämiert werden – frisch, sortentypisch und oft mit echtem Wiedererkennungswert.

Einige Weingüter – wie etwa das Weingut Lenz im Thurgau oder Albet i Noya im Penedès – setzen bereits grossflächig auf PIWIs. Andere starten erste Versuche. Doch klar ist: Der Weg ist bereitet.

Der Weinbau der Zukunft braucht neue Sorten

Klar, ein Umstieg auf robuste Sorten kann man nicht von heute auf morgen realisieren. Weingüter, die finanziell schon auf der Kippe stehen, können es sich wohl kaum leisten, grossflächig Reben auszureissen, um neue Sorten anzupflanzen. Ein Wechsel hin zu PIWI-Sorten ist ein Prozess, der Jahre – oder eher Jahrzehnte – dauert. Dazu kommt die Herausforderung des geschickten Marketings, um diese Weine dann auch verkaufen zu können.

PIWIs sind keine Wunderwaffe, aber ein enorm wichtiges Werkzeug, um den Weinbau ökonomisch und ökologisch fit für die Zukunft zu machen. Besser wäre gewesen, bereits vor 20 Jahren mit dem Pflanzen neuer Sorten zu beginnen. Jetzt ist jedoch höchste Zeit dafür. Wer heute PIWIs pflanzt, investiert künftig in niedrigere Kosten, weniger Stress – und zukunftsfähigen Wein.

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