Blog-Artikel von Olivier Geissbühler
Vor allem die Pestizid- und Trinkwasserinitiative im Juni 2021 rückte die Problematik von synthetischen Pflanzenschutzmitteln massiv in den Fokus der Medienberichterstattung. Während in den letzten Jahren in den Medien – ganz im Sinne der Agrarlobby – noch oft beschönigend von «Pflanzenschutzmitteln» die Rede war, wurde in den letzten Monaten nun immer öfter das Ausmass dieser umweltschädigenden Landwirtschaft erkannt und auch entsprechend benannt.
Dies zeigt sich auch an der Wortwahl in den entsprechenden Beiträgen: Treffend spricht das Schweizer Fernsehen (SRF) in dem oben eingebetten Beitrag von einer Pestizidkrise. Als Krise wird im Allgemeinen ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem System verstanden, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging. Diese Situation bietet in der Regel sowohl die Chance zur Lösung des Problems als auch die Möglichkeit zu dessen Verschärfung. Dass diese Definition im Hinblick auf den Pestizideinsatz weltweit in den letzten Jahrzehnten ziemlich treffend ist, würden wohl wenige bestreiten.
SRF-Moderatorin Kathrin Hönegger spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Pestizidabhängigkeit, was die aktuelle Situation ebenfalls gut beschreibt: Denn wie im Videobeitrag erwähnt, sind immer noch rund 86 Prozent der Schweizer Landwirte auf synthetische Pestizide angewiesen. Dies, weil einerseits durch die monokulturelle Bewirtschaftung die Pflanzen anfällig auf Krankheiten sind und andererseits immer noch sehr wenige krankheitsresistente Sorten angepflanzt werden. Dazu kommt, dass bei jahrzehntelangem Pestizideinsatz die geschwächten Pflanzen tatsächlich abhängig werden und sich ein Umstieg auf biologische Pflanzenschutzmittel meist nicht einfach gestaltet. Zusätzlich dazu setzt die Agrochemie alles daran, dass ihre teuren Pestizide von den Landwirtschaftsbetrieben gekauft werden. Die mächtige Agrarlobby spielt sowohl in der Politik wie auch in der landwirtschaftlichen Ausbildung weiterhin eine grosse Rolle und versucht immer noch, sowohl den Bauern wie auch den Konsumenten weiszumachen, dass eine Landwirtschaft ohne Pestizide nicht möglich ist.
Europäische Traubensorten sind zu krankheitsanfällig für die Schweiz
Auch die Problematik des Schweizer Weinbaus wird in diesem SRF-Beitrag sehr deutlich: In feuchten Jahren haben Schweizer Winzerinnen und Winzer – vor allem in den nördlicheren Regionen – mit einem enormen Krankheitsdruck zu kämpfen, denn die anfälligen europäischen Sorten halten den Mehltau-Pilzen nur selten stand. Pestizide dämmen zwar diese Infektionen ein, doch wie sich im Beitrag zeigt, werden die Reben trotz mehrmaligen Pestizidbehandlungen krank. Dies ist umso frustrierender für den Winzer, denn er hat sehr viel Zeit aufgewendet für Spritzfahrten und Geld für Pflanzenschutzmittel ausgegeben. Am Ende bleibt ihm aber trotz der ganzen Mühe kein zufriedenstellender Ertrag, trotz des ausgebrachten Gifts im Rebberg.
Im ausserordentlich schwierigen Jahr 2021 hat sich gezeigt, dass zwar auch robuste Rebsorten nicht völlig resistent gegen den Echten und Falschen Mehltau sind. Aber der Delinat-Winzer Roland Lenz hat trotzdem festgestellt, dass seine pilzwiderstandsfähigen Sorten (PIWIs) bei geringem Pflanzenschutzmittel-Aufwand wesentlich gesünder da standen als die europäischen Sorten und einen deutlich besseren Ertrag lieferten. Für ihn hat sich auf jeden Fall bestätigt: Wer auf Pestizide verzichten will, muss zwingend auf robuste Rebsorten setzen.
Ebenfalls sehenswert: Die aktuelle SRF-Doku zur fraglichen Zulassungspraxis von gefährlichen Pestiziden in der Schweiz und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt: