Die Trockenheit wird zu einem immer grösseren Risikofaktor im Weinbau. Besonders im Mittelmeerraum, wo heisse, trockene Perioden immer länger dauern. Was kann man als Winzerin oder Winzer dagegen tun? Um diese Frage drehte sich das Delinat-Winzerseminar 2025 in Moux, Südfrankreich, auf dem Weingut Château La Baronne der Familie Lignères.
Blogartikel von Olivier Geissbühler
Wasser ist für Reben essenziell. Nicht nur für das Wachstum, sondern auch für die Qualität der Trauben. Ohne ausreichende Wasserzufuhr leiden die Reben unter Stress. Sie stellen das Wachstum ein, die Beeren schrumpfen, die Photosynthese wird eingeschränkt. Doch das ist nur ein Teil des Problems:
- Winter- und Frühjahrstrockenheit verzögert den Austrieb und kann zu ungleichmässiger Entwicklung führen.
- Sommerdürre bringt die Reben an ihre Grenzen. Besonders Jungreben können ohne künstliche Wasserzufuhr vertrocknen.
- Unregelmässige Regenfälle: Die Dürrephasen werden immer länger und wenn einmal Regen fällt, dann oft in grossen Mengen, was zu Erosion und oberflächlichem Abliessen des kostbaren Wassers führt. Das Timing wird zu einer grossen Unbekannten.
Warum Bewässerung keine nachhaltige Lösung ist
Die naheliegendste Antwort scheint simpel: Die Reben künstlich bewässern. Doch ökologische Winzer wie Jean Lignères lehnen das ab: „Bewässerung macht die Wurzeln faul. Sie werden oberflächlich und abhängig davon.“ Kurzfristig mag das funktionieren. Doch langfristig werden die Reben anfälliger für jede Form von Stress. Und: Wasser wird auch in Europa zur knappen Ressource, denn nicht nur die Landwirtschaft ist abhängig davon.
Stattdessen setzen immer mehr Ökowinzerinnen und -winzer auf natürliche Wasserlenkung: Mulden, Gräben, Senken. Wenn es regnet, wird das Wasser gezielt in die Parzellen gelenkt. „Wir haben kleine Teiche angelegt. Sie bringen nicht nur Wasser in den Boden, sondern auch Leben: Frösche, Libellen, Vögel,“ erklärt Jean Lignères. Wasserlenkung ist keine Hightech-Massnahme, aber extrem wirksam – wenn sie mit der richtigen Bodenpflege kombiniert wird.
Der Boden als Wasserspeicher
Der Bodenexperte Nicola Fagotto bringt es auf den Punkt: „Der Boden ist wie ein Schwamm – wenn er gesund ist.“ Doch was macht einen gesunden Boden aus? Nicht primär die Farbe, sondern die Struktur. Ein guter Boden hat Poren. Viele kleine Hohlräume, in denen Wasser gespeichert wird. Damit das funktioniert, braucht es:
- Humus: Organisches Material wirkt wie ein Wassermagnet. Kompost, Mulch, Pflanzenreste – alles hilft.
- Bodenleben: Regenwürmer, Pilze und Mikroben lockern die Erde und schaffen Poren.
- Schonende Bearbeitung: Keine Verdichtung durch schwere Maschinen. Weniger Eingriffe, dafür mehr Geduld lautet die Devise.
Nicola Fagotto empfiehlt: „Schon im Winter muss der Boden vorbereitet werden, damit er das Wasser speichert. Die Pflanzen holen es sich dann im Sommer aus der Tiefe.“
Mikro-Poren & Wurzelnetzwerke
Der Bodenbiologe Thibault Débailleuil präzisiert: „Es geht nicht nur um Humus, sondern um die Mikro-Poren. Die entstehen durch das Leben im Boden. Und durch Wurzeln.“
Denn Wurzeln sind keine passiven Wassertrinker. Sie strukturieren den Boden, sie kommunizieren mit Pilzen, sie schaffen Wege für Wasser und Nährstoffe. Je tiefer und verzweigter das Wurzelwerk, desto besser die Resilienz gegen Trockenheit. Die Voraussetzung ist: Der Boden muss lebendig sein.
Agroforst: Schatten für die Reben
Die Hydrologin Marlène Vissac arbeitet an Agroforst-Konzepten für Weinberge. Ihre These: „Die Menge an Wasser global gesehen ändert sich kaum. Aber die Verteilung wird extremer.“
Ihre Lösung gegen Trockenheit im Weinbau: Reben in ein System mit Bäumen, Hecken und Bodenbedeckung einbinden.
- Bäume spenden Schatten und senken die Verdunstung.
- Wurzeln unterschiedlicher Pflanzen erschliessen verschiedene Bodentiefen.
- Laubfall bringt laufend neues organisches Material.
- Mehr Biodiversität bedeutet stabilere Mikroklimata.
Wichtig ist auch für Marlène Vissac die Hanggestaltung: Wer Wasser auffängt statt abfliessen lässt, schafft langfristige Resilienz. Doch das funktioniert nur in Kombination mit einem gesunden Boden: „Hydraulische Systeme allein bringen nichts, wenn der Boden tot ist,“ so Vissac.
Wie Wasserrückhaltung in einem Weinberg wirksam umgesetzt werden kann, erfährst du in diesem Video.
Die Bodenqualität ist entscheidend
Das Fazit des Delinat-Winzerseminars 2025 in Südfrankreich: Der Kampf gegen die Trockenheit wird im Untergrund entschieden. Wer Bewässerung als Hauptstrategie wählt, löst das Problem nur oberflächlich. Stattdessen braucht es lebendige, strukturreiche Böden, kluge Wasserlenkung und durchdachte Pflanzsysteme.
Jean Lignères bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen Geduld, Vielfalt und Vertrauen in die Natur. Dann können die Reben auch in Dürreperioden weiterleben.“
Transkript
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Wir sind hier auf dem Betrieb von Jean Lignières,
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in der Corbières.
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Eine extreme Gegend.
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Ganz ehrlich gesagt, war es in den letzten Jahren dramatisch trocken,
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starke Winde, die austrocknen,
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l'Alarique, ein Hügel gleich hier hinten,
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wo ein Regenschatten dahinter entsteht,
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also es ist eine recht dramatische Gegend,
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wo für mich auch in Frage steht, ob man da in Zukunft weiterhin Weinbau betreiben kann.
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Wir haben keine Bewässerung.
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Wir leiten jedoch Wasser um, damit es auf unsere Parzellen fliesst.
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Damit haben wir bereits angefangen.
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Wir versuchen, Wege zu schaffen, um das Wasser in die Reben zu lenken, damit dort mehr Wasser ankommt.
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Aber bewässern – Nein,
denn Bewässerung greift manchmal
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auf Grundwasserreserven zurück, und
manchmal ist es auch verschmutztes Wasser.
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Gleichzeitig gewöhnt man die Wurzeln
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an eine Art Bequemlichkeit,
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die sie – in Anführungszeichen – „dumm“ macht.
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Sie wachsen nicht mehr in die Tiefe,
sie suchen nicht mehr nach dem,
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was im Boden wirklich drin ist.
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Sie bleiben nur beim Wasser, das man ihnen gibt – das ist nicht gut.
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Das führt zu Trauben, die fade schmecken,
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das heißt, ihnen fehlt das Gleichgewicht,
ihnen fehlt die Säure.
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Kurz gesagt: Wir sind keine Befürworter davon.
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Um Wasser zu speichern,
gibt es mehrere Techniken.
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Man kann ziemlich viel
organisches, holziges Material einbringen,
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um den Boden zu stabilisieren,
eine Art Schwamm zu erzeugen
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in den obersten Zentimetern Boden,
damit das Wasser nicht verdunstet.
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Und nach und nach –
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nach und nach im Zusammenspiel
zwischen Bodengleichgewicht und Pflanze,
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in Verbindung mit der Physiologie
der Pflanze, kann man auch arbeiten
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mit Begrünungen,
mit eingesäten Pflanzenbedeckungen,
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durch die man dann
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die Schwammwirkung erhöhen kann,
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die dann das Wasser besser hält.
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Der wichtigste Faktor für
die Wasserspeicherung im Boden
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ist wirklich die Mikro-Porosität zu maximieren,
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also die Poren im Bereich
von 2 bis 10 Mikrometer,
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die durch die Bodenlebewesen entstehen,
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wenn sie sich vermehren und
diese Mikrostrukturen schaffen,
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und auch durch die Wurzelhaare der Pflanzen –
also durch Begrünungspflanzen.
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Wenn man versteht, dass Bodenverdichtung
diese Poren wieder verschließt,
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dann kennt man die Hebel,
an denen man ansetzen kann.
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Was können die Winzer tun?
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Sie sollten überdenken,
ob ihre Rebsorten noch zum Klima passen.
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Sind sie noch geeignet für
die aktuellen Klimabedingungen?
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Man kann die Reben auch
vor Sonne und Verdunstung schützen
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– zum Beispiel durch das Pflanzen von Bäumen.
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Und das kann sogar
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so weit gehen, dass man Weinberge umgestaltet,
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nicht mehr
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entlang der Hangneigung bearbeitet,
sondern quer dazu,
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um Feuchtigkeit besser aufzufangen
und gleichmäßig zu verteilen
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– was sowohl dem Boden
als auch der Pflanze zugutekommt.
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Das Schöne ist, dass wir jetzt in ein neues Jahr gestartet sind
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mit den Massnahmen, mit Komposttee und dem Regen, sofort gemerkt haben,
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dass in den ersten Monaten - wir haben jetzt Mitte Mai -
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und wir haben schon mehr Wachstum erreicht als wir im ganzen letzten Jahr hatten, und das ist sehr hoffnungsvoll,
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dass wir mit dem Glück des Regens und den Massnahmen, die wir ergreifen,
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etwas positives bewirken können.
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Die Ernte wird im Vergleich zum letzten Jahr hoffentlich besser,
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deutlich mehr, hoffe ich.
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Aber wir erwarten auch keine Wunder -
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wie ich vorhin gesagt habe:
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Wir sind keine Agrarindustriellen,
wir sind Landwirte.
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Und wir müssen ein Gleichgewicht wahren
zwischen dem Boden und dem Ertrag.
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Wir wollen nicht ausbeuten und zu viele Trauben haben – das wäre nichts.
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Wir wollen einfach ein Gleichgewicht. Wenn wir das Gleichgewicht haben, sind wir zufrieden.