Die klassische Rebenzüchtung ist ein jahrhundertealtes Handwerk, das Winzern die Möglichkeit gibt, neue, widerstandsfähige und ertragreiche PIWI-Rebsorten zu entwickeln. Dabei stehen die Verbesserung von Geschmack, Widerstandskraft gegen Krankheiten sowie die Anpassung an klimatische Veränderungen im Fokus. In diesem Blogbeitrag wird Schritt für Schritt erklärt, wie die klassische Rebenzüchtung funktioniert und was dabei beachtet werden muss.
Blogbeitrag von Olivier Geissbühler
1. Zielsetzung: Welche Eigenschaften soll die neue Rebsorte haben?
Bevor man mit der Züchtung beginnt, ist es wichtig, klare Ziele zu definieren. Was soll die neue Rebsorte leisten? Mögliche Ziele können sein:
- Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten: Traditionelle Rebsorten (Vitis vinifera) sind oft anfällig für Krankheiten wie Mehltau. Ein häufiges Hauptziel der Züchtung ist es, eine resistentere Sorte zu schaffen.
- Geschmack und Aroma: Ein ebenfalls sehr zentrales Züchtungsziel ist oft, bestimmte Geschmacksprofile zu verstärken oder neue Aromen zu kreieren. Wenn der Geschmack einer Sorte nicht stimmt, ist sie für Winzer meist uninteressant.
- Ertragsmenge: Höherer Ertrag bei gleichbleibender Qualität ist ein häufiges Ziel, wenn auch nicht das wichtigste.
- Wuchs: Ein schönes Wuchsverhalten der Pflanze kann im Weinberg viel Arbeit ersparen.
- Anpassung an Klimabedingungen: Besonders in Zeiten des Klimawandels suchen viele Winzerinnen und Winzer nach Sorten, die eher trockenen oder heissen Bedingungen standhalten.
2. Auswahl der Elternpflanzen
Nachdem die Zuchtziele festgelegt wurden, ist die Auswahl der Elternpflanzen der nächste Schritt. Dafür werden im Normalfall Rebsorten ausgewählt, welche die gewünschten Eigenschaften in ausgeprägter Form aufweisen. Bei der Züchtung spielen genetische Vielfalt und Kompatibilität der beiden Sorte eine grosse Rolle.
- Vaterrebe (Pollenquelle): Sie liefert den Pollen und sollte Merkmale besitzen, die in der neuen Sorte verstärkt auftreten sollen.
- Mutterrebe (Empfänger der Befruchtung): Die Mutterrebe bestimmt zu einem grossen Teil das Wachstumsmuster, die Anfälligkeit der Rebe für bestimmte Umweltbedingungen und den Traubengeschmack der Nachkommen.
3. Kreuzung: Künstliche Bestäubung
Im nächsten Schritt erfolgt die Kreuzung. Dies wird durch eine Bestäubung von Hand erreicht, um eine gezielte Züchtung zwischen zwei Sorten zu gewährleisten.
- Pollen sammeln: Der Pollen wird von den Blüten der Vaterrebe gesammelt. Hierbei ist besondere Vorsicht geboten, um Verunreinigungen oder die Zufuhr von irrtümlichem Fremdpollen zu vermeiden.
- Blüte der Mutterrebe präparieren: Die Blüte der Mutterrebe wird mit einer Pinzette vorsichtig geöffnet und die Staubblätter werden entfernt, damit sie nicht vom eigenen Pollen selbst bestäubt wird.
- Bestäubung: Der gesammelte Pollen wird manuell auf die Blüte der Mutterrebe aufgetragen.
- Schutz der bestäubten Blüte: Nach der Bestäubung wird idealerweise ein Papiersack über die Blüte gestülpt, um sie vor einer Fremdbestäubung, Witterungseinflüssen, Krankheiten und Tieren zu schützen. Diese Papiertüte bleibt im Normalfall bis im Herbst drauf, wenn die Trauben darin herangereift und bereit zur Ernte sind.
4. Entwicklung und Reifung der Beeren
Nach der Bestäubung beginnt nämlich die Beere der Mutterrebe, sich zu entwickeln. Dies dauert mehrere Monate. Sobald die Trauben reif sind, enthalten sie Kerne, die die Gene der beiden Elternreben vereinen.
Dabei ist es ratsam, auf optimale Bedingungen für das Wachstum der Mutterrebe zu achten. Gesunde, gut gepflegte Pflanzen haben eine bessere Chance, starke Nachkommen zu produzieren.
5. Erstes Pflanzungsjahr: Aussaat der Samen & Resistenztest
Die gesammelten Samen werden im nächsten Schritt gesät.
- Keimung: Die Samen werden in speziellen Keimboxen oder Gewächshäusern zum Keimen gebracht.
- Erste Selektion: Schon während der Keimung kann eine erste Selektion erfolgen, um besonders schwache Sämlinge auszusortieren. Später werden die Pflanzen ohne Schutz den Krankheiten ausgesetzt, um die resistentesten auswählen zu können. Nach dem ersten Sommer sind bereits über 90% Prozent der Neuzüchtungen wieder aus dem Rennen, da ihre Resistenz nicht genügt, um im Selektionsprozess weiterverfolgt zu werden.
6. Erste Fruchtbildung, Mikrovinifikation und mehrjährige Selektion
Nach 2-3 Jahren tragen die jungen Reben ihre ersten Früchte. Nun beginnt ein wichtiger Schritt: die Mikrovinifikation der neuen Sorten. Die geernteten Trauben werden auf die gewünschten Eigenschaften hin untersucht:
- Geschmack und Aroma: Sind die Aromen wie gewünscht? Passt der Säure- und Zuckergehalt zur Zielvorstellung?
- Widerstandskraft: Wie gut schlägt sich die neue Sorte gegen Krankheiten und Umwelteinflüsse über mehrere Jahre hinweg?
- Ertrag & Wuchs: Ist die Erntemenge ausreichend und stabil? Entspricht der Wuchs den Vorstellungen des Winzers?
Nur Reben, die sämtliche Anforderungen erfüllen, werden weiter kultiviert. Der Prozess der Selektion zieht sich über mehrere Zyklen, da sich manche Eigenschaften erst nach mehreren Jahren vollständig zeigen.
7. Vermehrung der neuen Rebsorte
Sobald eine vielversprechende neue Rebsorte ausgewählt wurde, beginnt die Multiplizierung dieser Pflanze. Dies geschieht in der Regel durch vegetative Vermehrung (durch Stecklinge) in einer Rebschule. So wird sichergestellt, dass die neuen Reben die gleichen genetischen Eigenschaften wie die ausgewählte Pflanze besitzen.
Was bei der klassischen Rebenzüchtung zu beachten ist
- Langfristige Planung: Die klassische Rebenzüchtung ist ein Prozess, der Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern kann. Eine sorgfältige Planung ist entscheidend, denn eine Sorte muss den Bedürfnissen der Winzer und Weinkonsumenten in 20 Jahren entsprechen.
- Geduld und Selektion: Nicht jede Kreuzung führt zu einer erfolgreichen neuen Sorte. Oft sind 10’000 Kreuzungen nötig, bis eine Sorte sämtliche Anforderungen erfüllt. Es braucht Geduld, um die besten Pflanzen zu finden.
- Wechselnde Wetterbedingungen und Umwelteinflüsse: Klimatische Veränderungen sollten immer im Blick behalten werden, um sicherzustellen, dass die neue Sorte auch in Zukunft erfolgreich kultiviert werden kann.
- Gesetzliche Vorgaben: Die Züchtung neuer Rebsorten unterliegt in vielen Ländern strengen gesetzlichen Regelungen. Man muss sich über Zulassungs- und Schutzvorschriften informieren und viele administrative Arbeit leisten, bis eine neue Sorte offiziell zugelassen wird.
Fazit: Rebenzüchtung ist aufwändig und komplex
Die klassische Rebenzüchtung ist ein faszinierender, aber komplexer Prozess, der viel Fachwissen und Geduld erfordert. Durch die richtige Auswahl der Elternpflanzen, gezielte Kreuzungen und sorgfältige Selektion kann ein Rebenzüchter jedoch einzigartige, widerstandsfähige Rebsorten entwickeln, die nicht nur qualitativ hochwertige Weine hervorbringen, sondern auch den Herausforderungen des Klimawandels standhalten.
Wenn du mehr über spezifische Rebsorten oder Züchtungsstrategien erfahren möchtest, zögere nicht, einen Kommentar zu hinterlassen!