Blogbeitrag von Olivier Geissbühler
Es ist ein Thema, das stark polarisiert und im Weinbau sowie in der Rebenzüchtung derzeit heiss diskutiert wird: Neue Gentechniken wie die Genschere CRISPR/Cas machen es möglich, gezielt das Erbgut an Pflanzen (oder auch Menschen) zu verändern. In der Landwirtschaft verspricht man sich damit neue krankheits- und trockenheitsresistente Sorten, welche exakt die gewünschten Eigenschaften vereinen. Manche sehen die neue Gentechnik sogar als Lösung gegen Hungernöte und die Klimakrise. Doch funktioniert das in der Praxis? Und was sind unerwünschte Risiken und Nebeneffekte?
Wie die Genschere CRISPR/Cas funktioniert
Eins vorneweg: CRISPR/Cas ist ein Verfahren, das sich Forscher von der Natur abgeschaut haben und nicht in erster Linie «Teufelszeug der bösen Industrie». CRISPR steht dabei für «Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats». Wenn Bakterien von einem Virus befallen werden, wird ein sogenanntes Cas-Protein eingesetzt, um sich vor dem Virenangriff zu schützen. Dieses kann das Erbgut an bestimmten Stellen auseinanderschneiden und anschliessend mit bestimmten DNA-Teilen wieder zusammenbauen. Im Jahr 2012 haben Forschende herausgefunden, dass sich dieser natürliche Reparaturmechanismus auch ausserhalb von Bakterienzellen einsetzen lässt und damit eigentlich jede DNA verändert werden kann. So können mit dieser Methode pflanzliche oder auch menschliche Gene entfernt, ausgetauscht oder hinzugefügt werden.
Können damit wirklich «bessere» Rebsorten gezüchtet werden?
Für die Züchtung von neuen Traubensorten ist CRISPR/Cas aus heutiger Sicht nicht wirklich hilfreich. Gemäss des Molekularbiologen und Phytopathologen Dr. Frank Brändle hat das mit der Rebenresistenz gegenüber Krankheiten zu tun: «Sie ist multifaktoriell und kann daher nicht auf Knopfdruck in die richtige Richtung gebracht werden». Sprich: Es gibt unzählige Resistenzmechanismen bei einer Pflanze, aber man weiss nicht genau, welche einzelnen Gene einer Rebe dafür verantwortlich sind.
Das Problem bei CRISPR/Cas ist, dass damit nur punktuell Änderungen an der DNA vorgenommen werden können. Im besten Fall kennt man nach heutigem Wissensstand die Gen-Abschnitte, wo sich einzelne Resistenzen oder Krankheitsanfälligkeiten befinden. Somit kann man zwar theoretisch einzelne Gen-Abschnitte, welche zum Beispiel eine Krankheitsanfälligkeit auslösen, ausschalten. Was dieses Ausschalten aber für andere negative Effekte auf die Pflanze haben könnte, weiss man nicht. Und diese sogenannten Off-Target-Effekte können vielseitig sein: Von verändertem Wuchsverhalten bis zur Bildung von neuen Inhaltsstoffen in Trauben mit geringerer Verträglichkeit für den Menschen ist alles möglich. Dr. Frank Brändle erklärt es so: «Grosse Schäden bei einer gentechnisch veränderten Pflanze sieht man schnell, weil sie gleich zum Absterben der Zellen führen. Kleine Fehler können hingegen eine grosse Wirkung haben, weil sie erst viel später erkannt werden.» Das Schlussfazit des Experten ist deshalb ziemlich deutlich: «Für die Rebenzüchtung halte ich die Methode auch technischen Gründen aktuell für nicht geeignet. Selbst wenn diese Hürden beseitigt sind, halte ich das Kostenrisiko für sehr hoch.»
Enormer Zeit- und Kostenaufwand
Oft wird versprochen, dass mit der Neuen Gentechnik schnell und einfach neue Sorten gezüchtet werden können. Doch stimmt das wirklich? Leider nur bedingt: Denn mit dem Abschalten (oder Hinzufügen) einen Genabschnitts wäre eine Rebsorte noch lange nicht geeignet für den Markt. Denn bei einer neuen Traubensorte möchte man ja möglichst viele wünschenswerte Eigenschaften vereint haben, von Geschmack bis Anbaueigenschaften. Man müsste also für verschiedenste Rebenkrankheiten Gene ausschalten oder einfügen, was ein riesiger Aufwand wäre. Dazu kommen weitere Faktoren wie Wuchs, Ertrag und Trockenresistenz, welche ebenfalls noch miteinbezogen werden müssten, um eine Sorte auf den Markt zu bringen, welche auch wirklich einen Mehrwert für die Winzer bietet.
Und selbst wenn man im Labor manuell eine solche «Wunschsorte» zusammengeschustert hätte, wäre damit die Züchtungsarbeit noch lange nicht abgeschlossen: Denn für eine seriöse Zulassung einer neuen Sorte muss immer eine mehrjährige Sortenprüfung draussen im Feld stattfinden. Alles andere wäre mit einem hohen Risiko verbunden, vor allem für die Winzer, welche diese gentechnisch veränderten Sorten kaufen, ohne wirklich die Eigenschaften draussen im Feld zu kennen. Diese neuen Gentech-Sorten müssten also korrekterweise einen Grossteil des langwierigen Parcours genau so durchlaufen, wie das bereits heute die klassisch gezüchteten PIWI-Sorten müssen. Ob so dann wirklich eine Sorte günstiger und schneller gezüchtet werden kann, ist zu bezweifeln.
Denken Sie, die neue Gentechnik bringt in den Jahren vielversprechende Rebsorten hervor? Schreiben Sie Ihre Meinung in die Kommentare!
Klassische Züchtung lässt die Natur für sich arbeiten
Auch der Rebenzüchter Valentin Blattner bezweifelt, dass diese Gentech-Sorten in naher Zukunft eine Konkurrenz zu seinen klassisch gezüchteten Sorten werden. «Ich kann parallel in einem Arbeitsschritt verschiedenste Züchtungsziele realisieren, was bei CRISPR/Cas ewig dauern würde. Danach muss ich nur noch draussen im Feld die Natur entscheiden lassen, welche Neuzüchtung sich am besten bewährt. Bei der Neuen Gentechnik wäre das alles viel aufwändiger», erklärt er die Vorteile seiner Arbeit.
Auch Valentin Blattner stützt sich bei der Züchtung auf moderne Methoden der Wissenschaft: Mittels Resistenzgen-Analysen kann er prüfen, bei welchen Neuzüchtungen welche Resistenzmechanismen vorhanden sind, was die Züchtungsarbeit einfacher und präziser macht. «Wenn ich jetzt zum Beispiel einen resistente Version des Rieslings züchten möchte, nehme ich eine sogenannte Super-Donor-Pflanze: Das ist eine Rebe, welche neutral im Geschmack ist und sämtliche erwünschten Resistenzgene homozygot aufweist, also auf beiden Chromosomen. Das heisst, diese werden dann sicher weitervererbt».
Kreuzt man diese Super-Donor-Pflanze mit dem Riesling, ist die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgsversprechende Neuzüchtung sehr hoch. Im Idealfall entsteht eine neue resistente Sorte, die auch bezüglich Anbaueigenschaften Vorteile gegenüber dem Elternsorte Riesling aufweist. «Wenn man – so wie ich – einmal diesen Genpool von verschiedensten Resistenzgenen aus Wildreben aufgebaut hat, wird das Züchten neuer Sorten kinderleicht», so Valentin Blattner. Zusammenfassend gesagt: Mit den Fortschritten in der klassischen Rebenzüchtung in den letzten Jahren ist es möglich, deutlich schneller und günstiger eine «bessere» Traubensorte zu züchten, als das derzeit mit CRISPR/Cas möglich wäre.
Laschere Regeln für neue Gentechnik?
Die EU-Kommission hatte am 5. Juli 2023 einen Gesetzesentwurf präsentiert, der den Umgang mit neuen Gentechnologien lockern soll. Künftig sollen diese Methoden nicht mehr der bestehenden Gentechnik-Regulierung unterworfen sein, sofern «die Änderungen theoretisch auch durch klassische Züchtung erreicht werden könnten». Das heisst, der Vorschlag beinhaltet nur Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese (Erzeugung von Mutationen im Erbgut) und durch Cisgenese (Einbringung von arteigenen Genen ins Erbgut) erzeugt wurden. Die Transgenese, bei der Gene von artfremden Organismen eingefügt werden, ist von dem Gesetzesentwurf ausdrücklich ausgenommen. Aktuell ist Gentechnik in Europa noch ziemlich streng reguliert und in den meisten Ländern ist es nicht möglich, solche Pflanzen auf den Markt zu bringen. Auch die Schweiz hat ein Gentechnik-Moratorium bis 2025. Bis spätestens 2024 muss der Bundesrat aufzeigen, wie neue Züchtungsmethoden bei Kulturpflanzen reguliert werden sollen.
Vertiefte Informationen zum Thema Gentechnik finden Sie hier:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland: Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren.
Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft: Neue Gentechnik – Regulierung oder Freifahrtsschein?
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