Vom österreichischen Burgenland bis an die deutsche Mosel haben Winzerinnen und Winzer nervenaufreibende Tage hinter sich. Der Spätfrost hat an vielen Orten grosse Schäden hinterlassen. Ein verheerendes Phänomen, das mit dem Klimawandel leider eher häufiger und verstärkter auftritt.
Blogbeitrag von Olivier Geissbühler
Der vergangene Winter in Europa war der wärmste seit Messbeginn, und das merkt man auch im Weinbau: Die Winterruhe der Pflanzen ist nicht mehr so lange wie noch vor 30 Jahren und die Wärmeperiode von Februar bis Anfang April führte zu einer sehr frühen Entwicklung der Reben. Der Austrieb war zum Teil fast einen Monat früher zu beobachten, als dies noch vor einigen Jahren üblich war. Doch mit dem frühen Austrieb erhöht sich auch eine der grössten Gefahren im Weinbau: Das Fenster für Spätfrost und damit verbundenen Ernteverlust wird länger.
Nach Temperaturen von knapp 30 Grad war der erneute Kälteeinbruch in den nördlicheren Weinregionen Europas eine grosse Herausforderung. Winzerinnen und Winzer in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz bangten um ihre Reben. Die Frostschutzmechnismen in der Rebe sind ab Erscheinen der «Wolle» nahezu nicht mehr aktiv. Sprich: Sobald es friert, dehnt sich das Wasser aus und sprengt die Zellen. Damit Frostschäden entstehen, braucht es nur leichte Minustemperaturen: Bei feuchten Blättern kann bereits -1 °C reichen, bei trockenen Blättern wird es ab ca. -3 °C gefährlich. Bereits eine Nacht unter 0 Grad kann richtig viel Schaden anrichten.
Grosse Schäden an der Mosel
Timo Dienhart aus Maring-Noviand verzeichnet dieses Jahr so grosse Frostschäden wie noch nie: «Aktuell kann ich es noch nicht genau beziffern, aber es ist verdammt viel kaputt», berichtet der Delinat-Winzer. Er schätzt, dass wohl mindestens zwei Drittel seiner Ernte bereits jetzt zerstört worden ist. Betroffen sind dieses Jahr nicht nur der Hangfuss und die sogenannten «Frostlöcher», wo die schwerere Kaltluft gewöhnlich hinfliesst, sondern sogar Premium- und Steillagen, wo Frost seltener auftritt. «Angesichts der vielen Steillagen in unserem Betrieb waren wir historisch gesehen sehr gut gegen Frost geschützt. Das ändert sich aber scheinbar durch den verfrühten Austrieb», so die Einschätzung des Delinat-Winzers. Versuche mit Baldrian und Co. seien bei ihm bisher nicht erfolgreich gewesen: «Eine aktive Frostabwehr ginge nur mit rabiateren Mitteln, also Frostkerzen, Nebel, Helikopter, oder Sprinkleranlagen. Was aber ökologisch und ökonomisch schwierig ist», so Timo Dienhart.
Der Winzer Alexander Pflüger in der Pfalz ist mit einem blauen Auge davon gekommen: «Es war äusserst knapp und es gibt auch hier und da etwas Schaden. Allerdings sind es „nur“ angefrorene Blätter. Das sollte sich auswachsen», teilt er auf Anfrage mit. Spätfrost war auch bei ihm in Bad Dürkheim in den letzten Jahren immer wieder ein Thema. Meist trifft es bei ihm allerdings nur die tiefen Lagen oder Senken. «Die Einflüsse der Umgebung, also Windoffenheit, Hanglage und Biodiversität, können den Unterschied machen», ist er überzeugt. Als Frostprävention setzt der Pfälzer Winzer auf niedrige Begrünungen durch Walzen, keine Bodenbearbeitung und kurz vor potenziellen Frostnächten auf Baldrian spritzen. «Diese Massnahmen sind wirkungsvoll und gut machbar. Das grosse Besteck mit Rauchkerzen, Feuerstellen und Windrädern rechnet sich nur in sehr gefährdeten und/oder wertvollen Lagen. Dies schliesst sich bei uns meist aus», berichtet Alex Pflüger.
In Österreich teilweise über 80 Prozent kaputt
Niki Moser vom Delinat-Weingut «Vitikultur Moser» bei Krems blickt ebenfalls auf schwierige Tage zurück: «In den Ortschaften der Nachbarschaft in der Donauregion hat der Frost in den letzten Tagen teils massiv zugeschlagen». Sogar in den Hanglagen habe es grosse Schäden gegeben, ganz zu schweigen von den ebenen Lagen. Manche Winzerkolleginnen und Winzerkollegen sprächen demnach von 60-80 Prozent Ausfall. Der Delinat-Winzer hat dieses Jahr an den Vorabenden der Frostereignisse ebenfalls ein Baldrian-Präparat in den ebenen Lagen ausgebracht. «Wir haben den Eindruck, dass das den negativen Einfluss des Frosts mildert. Aber mehr als 1-2°C kann man sicher nicht wettmachen», so Niki Moser. Im Jahr 2016 hatte der Delinat-Winzer als drastische Massnahme gemeinschaftlich mit dem Weinbauverein geräuchert. Das sei recht effektiv gewesen, müsse aber sehr gut organisiert sein.
«Bei uns hat es sich bis jetzt in Grenzen gehalten. Wir haben nur 10 Prozent unserer Kremstaler Flächen in der Ebene. Eine 1,5-Hektar-Lage hat es jedoch voll erwischt. Dort sind 90 Prozent der Triebe kaputt. Leider werden nochmals Minusgrade prognostiziert…» Niki Moser hatte in den letzten Jahren viel mit Frösten zu kämpfen. Im Burgenland, wo er ebenfalls Rebflächen bewirtschaftet, gab es im Jahr 2016 ca. 80 Prozent Ausfall, im Jahr 2017 rund 40 Prozent und im Jahr 2021 etwa 50 Prozent Ernteverlust.
Schweiz: Frostschäden im Wallis, Thurgau hatte Glück
In der Schweiz war vor allem das Wallis von Spätfrost betroffen. Der Thurgauer Winzer Roland Lenz hat ebenfalls mehrere Nächte um den Gefrierpunkt hinter sich, doch bis jetzt hatte er Glück: Die Reben sind bisher grösstenteils unbeschadet durch die Kälteperiode gekommen. Vorbeugend setzt er ebenfalls auf gewisse Hilfsmittel: «Baldrian kann helfen, Zuckerlösungen ebenfalls. Hat die Rebe genügend Reservestoffe in den Vorjahren aufbauen können, hilft das auch. Bei trockenen Verhältnissen können da auch -5°C überstanden werden. Sehr effektiv ist auch ein später Winterschnitt und Frostreserven», erklärt der Delinat-Winzer. Eine Frostreserve ist eine zusätzliche Rute, die gewöhnlicherweise später austreibt und somit bei Frost als Rettung für einen gewissen Ertrag dienen kann. Falls kein Spätfrost eintritt, wird sie Ende Mai einfach abgeschnitten.
Zwischen den verschiedenen PIWI-Sorten, die er im Anbau hat, gibt es zum Teil grosse Unterschiede, was den Austrieb-Zeitpunkt betrifft: «Regent, Cabertin, Satin Noir treiben eher später aus. Auch Souvignier gris. Generell kann man sagen, je mehr Zuckerlösungen, also Glyzerin, in den grünen Teilen ist, umso frostbeständiger sind die Zellen.» Einen grossen Vorteil bei Frostereignissen sieht er auch in Sorten, welche noch einmal austreiben können: «Da die PIWI-Sorten meist in den Nebenaugen fruchtbar sind, gibt es bei einem Neuaustrieb oft trotzdem noch einen Ertrag». Die Arbeit wird danach nicht weniger, weil Frost-geschädigte Reben besonders anfällig bezüglich Pilzkrankheiten sind. Dazu treibt die Rebe nach einem Frostereignis aus allen Ecken und Enden – es ist also intensive Grünarbeit angesagt. Durch das Wegbrechen geschädigter Triebe kann man jedoch den Austrieb der Beiaugen forcieren und damit – je nach Sorte – noch bis zu 50% oder 60% einer Normalernte bekommen.
Vorerst ist die Gefahr noch nicht ganz gebannt, es kann noch einmal kalt werden. Traditionell galt die Gefahr für Spätfrost nach den «Eisheiligen» als überwunden. Doch bis dahin geht es noch einmal rund zwei Wochen, vom 11. bis 15. Mai dauern sie an. Und auch diese Bauernregel könnte in Zukunft auf den Kopf gestellt werden mit den aktuellen Klimaentwicklungen.