Weinbau im Jahr 2050 klingt erst einmal weit entfernt. Doch wenn man genauer darüber nachdenkt, gehen 25 Jahre doch ziemlich schnell vorbei. Besonders im Weinbau, wo in längeren Zeiträumen gerechnet wird: Eine Rebe kann locker 50 Jahre alt werden, ein guter Wein kann ohne weiteres 20 Jahre in einem Keller lagern, bis er getrunken wird. Wir wagen deshalb einen Blick in die Zukunft und stellen uns vor, wie sich der Weinbau verändern könnte.
Blogartikel von Olivier Geissbühler
Die Weinbranche steckt derzeit in einem grossen Wandel. Bis 2050 wird der Weinbau in Europa deshalb dramatisch anders aussehen, als wir es heute kennen. Hauptursachen sind die rasanten Klimaveränderungen, die Innovationen bei Rebsorten, ökologische Herausforderungen sowie der Wandel der ökonomischen Rahmenbedingungen. Dieser Beitrag beleuchtet die Zukunft des Weinbaus, wie er sich an das neue Klima anpasst und welche Chancen und Risiken auf Winzer und Weinliebhaber zukommen.
Klimawandel und neue Weinregionen
Das Klima in Europa wird sich bis 2050 so stark verändern, dass traditionelle Weinanbaugebiete, wie Bordeaux oder die Toskana, neuen klimatischen Bedingungen gegenüberstehen. Heissere Sommer, azyklische Niederschläge und häufigere Extremwetterereignisse zwingen die Winzerinnen und Winzer dazu, ihre Anbaumethoden anzupassen. Eine Massnahme kann grossflächige Wasserretention und Agroforst sein, wie es zum Beispiel verschiedene Delinat-Winzer bereits erfolgreich praktizieren.
In traditionellen Regionen werden Rebsorten wie Merlot oder Chardonnay zunehmend Schwierigkeiten haben, ihr gewohntes Geschmacksprofil zu bewahren. Im Gegenzug werden nördlichere Regionen wie England, Skandinavien und Teile Norddeutschlands immer attraktiver für den Weinanbau, vor allem in Kombination mit PIWI-Sorten. Sehenswert ist zu diesem Thema das Videointerview mit Sam Doncaster, der grosses Potenzial in England als neue Weinbauregion sieht.
Aufstrebende Weinregionen in Nordeuropa
Im Jahr 2050 wird es nicht mehr ungewöhnlich sein, Weinberge in Schottland, Skandinavien oder im Baltikum zu finden. Diese Regionen bieten kühlere Temperaturen und einen Wachstumszyklus, der in den heute klassischen Weinregionen zunehmend verloren geht. Diese neuen Weinanbaugebiete werden sich auf frischere, säurebetontere Weine spezialisieren, ähnlich denen, die wir heute aus kühleren Regionen wie der Loire oder dem Elsass kennen. Eine Gefahr für die Reben wird in Zukunft vor allem auch in nördlicheren Gegenden der Spätfrost sein.
Viele neue klimaangepasste Rebsorten (PIWIs)
Um den veränderten klimatischen Bedingungen gerecht zu werden, werden bis ins Jahr 2050 eine Menge neue, klimaresistente Rebsorten (PIWIs) gezüchtet. Forschungseinrichtungen und innovative Winzerinnen und Winzer experimentieren bereits heute mit Kreuzungen von Reben. Bis Mitte des Jahrhunderts werden wir eine Vielzahl neuer Sorten sehen, die speziell dafür gezüchtet wurden, Krankheiten, Trockenheit, Hitze und Schädlingen zu trotzen.
Alte Sorten neu entdeckt
Neben der Neuzüchtung von Reben gewinnen wahrscheinlich auch alte, fast vergessene Rebsorten wieder an Bedeutung. Denn diese wertvolle alte Genetik kann auch für die Züchtung neuer Sorten dienen. Besonders hitzebeständige Reben aus dem Mittelmeerraum, wie zum Beispiel der spanische Bobal oder griechische Assyrtiko, könnten verstärkt in den traditionellen Weinanbaugebieten Europas angebaut werden.
Biodiversität und ökologische Herausforderungen
Im Jahr 2050 wird der Weinbau gezwungenermassen auf Biodiversität setzen. Monokulturen, die den Boden auslaugen und anfällig für Schädlinge und Krankheiten machen, gehören (hoffentlich) der Vergangenheit an. Stattdessen werden Mischkulturen und der Anbau von Flora zwischen den Weinreben die Norm sein. Denn dies fördert nicht nur die biologische Vielfalt, sondern auch die Bodenfruchtbarkeit und die Gesundheit der Reben.
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
Die Zukunft des Weinbaus ist untrennbar mit der Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln verbunden. Nebst dem Obstbau werden nämlich in Weinbergen immer noch am meisten Pestizide ausgebracht. Durch den vermehrten Einsatz von Biodiversitätsstrategien und natürlichen Feinden von Schädlingen sollte der Bedarf an chemischen Eingriffen drastisch sinken. Ökologische Pflanzenschutzmethoden wie der Einsatz von Nützlingen oder mikrobiellen Präparaten werden den konventionellen Pflanzenschutz weitgehend ersetzen. Voraussetzung dazu sind eine vielfältige Landschaft und neue robuste Rebsorten.
Ohne Wasser keine Zukunft: Nachgefragt beim Ökologen und Delinat-Winzerberater Daniel Wyss
Ein Umbau der Landschaften wird notwendig. Nicht nur für den Weinbau. Ganz generell für die Landwirtschaft, Forstwirtschaft und die Trinkwasserversorgung müssen die Landschaften neu gedacht werden. Seit 100 Jahren wird Wasser kanalisiert und es werden Felder entwässert, um so Monokulturen anbauen zu können. Jetzt bezahlen wir die Rechnung dafür. Damit wir auch im Süden weiterhin Landwirtschaft betreiben und die Menschen mit Wasser und Nahrungsmittel versorgen können, müssen wir Bäche und Flüsse ausdohlen, das Wasser von der Quelle an verlangsamen, verteilen und versickern lassen. So können wieder Bäume wachsen und es kann nachhaltige Landwirtschaft betrieben werden, weil so die Quellen wieder fliessen. Damit wieder regelmässig Regen fällt, müssen wir auch in Europa Milliarden Bäume pflanzen. Und auch in den Städten muss man das Wasser versickern lassen. «Schwammland» und «Schwammstadt», oder auf Englisch «slow water», heisst dieses Konzept der Zukunft.
Der ökonomische Wandel im Weinbau
Die Wirtschaft des Weinbaus wird sich ebenfalls verändern. Die steigenden Kosten für die Anpassung an den Klimawandel – von Bewässerungssystemen bis hin zur Forschung und Entwicklung neuer Rebsorten – werden sehr wahrscheinlich die Preise für Wein ansteigen lassen. Viele Weingüter könnten es schwerer haben, mit diesen Investitionen Schritt zu halten, was zu einer Konsolidierung der Branche führen könnte.
Nachhaltigkeit als Verkaufsargument
Nachhaltigkeit wird bis 2050 ein zentrales Verkaufsargument für Wein sein. Konsumenten werden zunehmend darauf achten, wie ökologisch verträglich und klimafreundlich der Wein produziert wurde. Zertifikate für Biodiversität, CO₂-Fussabdruck und Wasserverbrauch werden auf den Etiketten eine grössere Rolle spielen, als es heute der Fall ist.
Fazit: Der Weinbau im Jahr 2050
Der Weinbau im Jahr 2050 wird sich drastisch von dem unterscheiden, was wir heute kennen. Klimawandel, neue Anbauregionen, innovative Rebsorten und eine stärkere Hinwendung zu Ökologie und Nachhaltigkeit prägen die Zukunft des europäischen Weinbaus. Winzerinnen und Winzer werden lernen müssen, mit neuen Bedingungen umzugehen, während Weinliebhaber neue Geschmacksprofile und Regionen entdecken werden. Die Herausforderungen sind immens, aber mit ihnen gehen auch Chancen für eine nachhaltigere und widerstandsfähigere Weinindustrie einher. Packen wir es an!
Wie denkst du, sieht der Weinbau im Jahr 2050 aus? Schreibe es in die Kommentare!